Tag 4

5. Juli 2019

St. Michel bis Sauce d'Oulx

Der Kopf ist schon seit 5 Uhr wach. Die Beine sind noch im Tiefschlaf.
Ich bin froh, dass ich das hässliche Tal mit der Hauptverkehrsachse verlassen kann. In einem sehr schmalen Seitental klettere ich zuerst bei angenehmer Steigung im kühlen Schatten hoch. Dann kommen Rampen, welche wohl nur Nino Schurter fahren würde. Die letzten 600 Höhenmeter sind wieder knapp fahrbar. Ich beisse mich an Cellis imaginären Wädli vor mir fest und bleibe im Sattel. Dass Celli oben eine Zigi rauchen würde, blende ich aus.
Ich denke an Peter Flisch. Es sei wie in den Reben. Man müsse sich die Rebzeilen hochkämpfen bis einem oben ein frisches Lüftchen entgegen komme. Stimmt, und die Natur ist wie bei Flisch bioauthentisch, aber die Rebzeilen sind hier extrem lang.
Mit dem Passübergang beginnt ein Feuerwerk. Ein Wanderweg schlängelt sich über den Pass. Die Kulisse ist traumhaft! Rund 20 Minuten muss ich schieben. Aber dann!!! Aber dann fahre ich rund zwei Stunden auf himmlischen Singletrails über Wiesen, entlang von Bächen und durch Föhrenwäldchen. Ist das ein Traum? Ich möchte mich kneifen, doch das wäre zu gefährlich. Unten muss ich vor Freude weinen. So etwas habe ich nicht erwartet! 
Ich radle nochmals 500 Höhenmeter rauf und finde in Sauce d'Oulx, einem Olympiaskiort von Torino 2006, eine Bleibe.
Übrigens: Wer meint, dass die Schafe mir wegen dem Geruch nachlaufen, irrt. Ich wasche täglich!

Tag 5

6. Juli 2019

Sauze d'Oulx - Prali

Ich steige auf die 2500 m hoch gelegene Strada dell' Assietta im Gebiet Sestriere, ein 60 km langes Militärstrassennetz aus dem 1. Weltkrieg. Der auf dem Bergkamm angelegte Schotterweg bietet eine unglaubliche Weitsicht!

Um ins Tal zu stechen, verweist mich mein GPS auf die Asphaltstrasse. Ich frage einen beinrasierten, italienischen Biker, ob man auch auf dem Wanderweg, welchen ich erblicke, ins Tal biken könne. Er sagt: No, il Sentiero e pericoloso. Der "Asfalto" sei besser. Ich nehme den Pericoloso. Pericoloso heisst auf Schweizerdeutsch "trailig-flowig-chli-uusgsetzt"

Fast 1000 m tiefer ist aber fertig mit pericoloso. Auf der Talstrasse rolle ich ins 36° heisse Unterland und von da im Seitental, welches ans Maggiatal erinnert, mit gemischten Gefühlen, weil dort oben kein Bett mehr zu haben sei, wieder hoch auf 1500m.

Im Dorf setzt sich Carlo, ein Barbetreiber, intensiv für mich ein und reicht mir einen Zettel mit einer Telefonnummer. Ich soll 2 km talwärts fahren. Dort würde Elisa auf mich warten. Elisa rennt mir entgegen. Sie ist Mitglied des italienischen Langlauf-Nationalteams und ist gerade von einem 33 km Trailrun zurück. Die spinnt! Sie reicht mir den Schlüssel zu einem verlassenen Häuschen. Nach ihrer Instruktion rennt sie leider wieder von dannen. Aber ich habe ihre Telefonnummer. Ich nehme eine Kaltwasserdusche. Der Duschenboden ist sehr glitschig. Zum erstem Mal ist es heute pericoloso!

Tag 6

7.Juli 2019

Prali - L' Echalp

Über dem  Col Giulian hängen dunkle Wolken. Es nieselt leicht. Das kommt mir beim schweren Aufstieg zum wunderschönen Hochplateau der "Tredieci Laghi" entgegen. Das Gelände ist rauh. Ich schleppe das Velo stundenlang bei mittlerweile bestem Wetter durch die Gegend. Italienische Touristen, welche es mit der Sesselbahn hier raufgespült hat, trauen ihren Augen nicht, als sie einen Biker sehen. Einer ruft: "Posso prendere una Foto per mia Mama!" Als ich ihm Auskunft über mein Vorhaben gebe, ruft er seiner Familie: "Che Cazzo! Vieni di Svizzera con bici!"
Es folgen weitere schwere Aufstiege, mittlerweile bei brennender Hitze. Die letzte Abfahrt zum Zielort ist das absolute Highlight des Tages und lässt mich die Strapazen vergessen. Ein perfekter Biketrail durch eine Bilderbuchlandschaft!